S&G Jahrbuch 2020

20 Ausgabe 8/20: landwirtschaft S&G Hand-Express Landwirt – Multitalent am Ende Landraub durch Geldhaie „ Müsli wächst nicht auf dem Schreibtisch. “ Carina Konrad, Bundestagsabgeordnete elp. Carina Konrad ist Diplom- Agraringenieurin und stellver- tretende Vorsitzende des Aus- schusses für Ernährung und Landwirtschaft im Bundestag. Sie meint: „Ein Landwirt ist heu- te ein Multitalent.“ Chemische und physikalische Kenntnisse über Funktionsweise von Boden und Tieren und die Übersetzung dieses Wissens in die Praxis des Pflanzenbaus und der Tierzucht gehören genauso zu seinen Fer- tigkeiten wie ein ausgeklügeltes Dokumentations- und Büroma- nagement, Steuerlehre und Be- triebswirtschaft sind nicht weni- ger essenziell, als Social Media und Marketing. Controller, Ma- nager, Chief Officer […] das al- les ist ein Landwirt in Personalu- nion.“ Trotz aller Klugheit und unsagbarem Fleiß ist er vieler- orts in einer existentiellen Notla- ge. Viele leiden unter Burnout und die Selbstmordrate unter Bauern ist viel höher, als in der restlichen Bevölkerung. [7] Bauern ohne Freiheit lnc./elp. Dr. Guido Nischwitz, Forscher an der Universität Bremen mit Schwerpunkt „Länd- liche Entwicklung“, erklärt 2019: „Seit Jahrzehnten ist die Land- wirtschaftspolitik der EU durch- setzt von Abgeordneten, die gleichzeitig mit Düngemittel- firmen, Landtechnikherstellern oder Banken zusammenarbeiten. Ein Netzwerk aus Politikern, Agrarkonzern-Managern und Verbandsfunktionären entschei- det darüber, welche Landwirte wie viel Geld erhalten, wie sie arbeiten sollen und was schließ- lich bei den Verbrauchern auf dem Teller landet.“ Und der ehemalige brasilianische Um- weltminister Jose Lutzenberger brachte es bereits 1995 auf den Punkt: „Es geht doch imGrunde um eine schrittweise und syste- matische Übernahme der Land- wirtschaft durch die großen Konzerne der Chemie und der Maschinen, der Nahrungsmittel- verarbeitung und -vermarktung sowie der Banken. Der echte Bauer soll verschwinden. Übrig bleibt ein winziges Rädchen in einer gewaltigen Maschine, fest eingegliedert, ohne die geringste eigene Bewegungsfreiheit.“ [8] „[Der Bauer] stört nur, weil er frei ist, weil er Land besitzt, weil er selbstständig ist. Angenehmer wäre es für die Politik und den Discount-Handel, für Molkereien und die Agrarindustrie, wenn der Bauer arbeiten würde wie der Industriearbeiter, abhängig, zu Billiglöhnen, steuerbar.“ Buch: „Blutmilch“ von Romuald Schaber S. 35 Quellen: [7] Buch „Blutmilch“von R. Schaber | www.focus.de/politik/experten/bauernsterben-der- deutsche-bauer-ist-zum-feindbild-gewordenfatal_id_9580330.html | www.agrarheute.com/land-leben/tabu-themaselbstmorde-landwirten-554007 [8] www.heise.de/tp/features/Agrarlobbyismus-im-Hinterzimmer-4523321.html?seite=all | www.begegnungszentrum.at/texte/lutzenberger/lutz3-bauern.html [9] www.weltagrarbericht.de/aktuelles/nachrichten/news/de/33778.html | http://ostdeutsche-bodenpolitik.de/warum-das-thema-ostdeutschebodenpolitik/ | www.focus.de/regional/ sachsen-anhalt/burgenlandkreis-aldi-erben-kaufen2000-hektar-acker-in-sachsen-anhalt- landwirte-sind-besorgt_id_11308248.html [10] www.inkota.de/themen/welternaehrung-landwirtschaft/digitalisierung-derlandwirtschaft/ | https://netzpolitik.org/2019/bits-und-baeume-wie-sich-digitalisierung-auf-die-weltweite- landwirtschaft-auswirkt pi. Viele Landwirtschaftsbetrie- be in Deutschland sind hoch ver- schuldet oder geben aus Alters- gründen auf. Das nutzen immer mehr externe Investoren aus und beteiligen sich an Betrieben oder kaufen Flächen. Das ist zwar für Nicht-Landwirte laut Gesetz ver- boten, jedoch nutzen immer mehr Investoren verschiedene Gesetzeslücken aus. So über- nahm z.B. im Jahr 2019 eine Vermögensgesellschaft des Han- delsunternehmen ALDI gleich zwei Großbetriebe in Sachsen- Anhalt und in Thüringen. Für diese dient das Ackerland nicht dem Erzeugen der Lebensmittel für ihre Discounter, sondern als stabile Geldanlage. Insgesamt gehören heute mehr als 34 % der ostdeutschen Flächen diesen branchenfremden Investoren. Weil das Land nun mehr Interes- senten findet, steigen die Kauf- und Pachtpreise und zwar in den letzten zehn Jahren im Durch- schnitt um das 2,5 fache. Die Bauern können sich das Land nicht mehr leisten, die finanzstar- ken Investoren dagegen schon. Jedoch sind es die vielfältigen regionalen Betriebe, die hoch- wertige Lebensmittel produzie- ren. Sie sorgen für eine hohe Wertschöpfung in den Regionen und ernähren das Land in Krisen- zeiten. [9] Macht durch Digitalisierung lnc. Die Digitalisierung der Landwirtschaft wird immer wie- der als Heilsbringer und als Lö- sung für alle Probleme genannt. So übernehmen beispielsweise Roboter das Melken, und Droh- nen bringen Dünge- und Pflan- zenschutzmittel zielgerichtet an die Pflanze. Die dabei erfassten Daten, wie Bodenart, Wetterpa- rameter oder Maschinenver- schleiß, werden zentral gespei- chert und der Landwirt kann seine Betriebsabläufe über ein Computerprogramm überwachen und steuern. Das bekannteste Programm dieser Art vertreibt das Agrochemieunternehmen Bayer. Dieses erschließt sich mit demmassenhaften Sammeln und Analysieren der anfallenden Pro- zessdaten neue Geschäftsfelder. Damit erhofft sich Bayer, durch die Beratung und Optimierung landwirtschaftlicher Betriebe, Milliarden Euro zu verdienen. Doch laut einer Ausarbeitung des Netzwerkes Inkota* konzentriert sich dadurch die Macht bei den datensammelnden Großkonzer- nen, da diese faktisch bestimmen, was die Landwirte anbauen, welche Maschinen oder welches Saatgut sie nutzen. Derartige technologische Innovationen sind abzulehnen, so lange sie einseitig Unternehmen dienen und die Abhängigkeit der Landwirte ver- schärfen. [10] *INformation, KOordination, TAgungen zu Themen des Nord-Süd-Konflikts ... Schlusspunkt ● Die Lage der Bauern ist ein Spiegelbild für die Ge- sellschaft. Können sie frei sein, ist die Gesellschaft frei. Otto von Bismarck drückt es folgendermaßen aus: „Wenn die Landwirt- schaft nicht besteht, kann auch der Staat nicht beste- hen.“ Und um die Land- wirtschaft zu unterstützen, kann jeder diese SuG verbreiten, Kontakt zu lo- kalen Erzeugern suchen und dort zu einem fairen Preis einkaufen. Die Redaktion (elp, pkr, lnc, dkb, pi, ah, mv)

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