S&G Jahrbuch 2020

16 Ausgabe 6/20 S&G Hand-Express „Es gibt keinerlei Daten, die zeigen, dass jemand schlauer am Computer wird.“ doa. Eine Studie über Londo- ner Taxifahrer zeigte, dass jene Gehirnareale, die der Orientie- rung zugeordnet sind, bei ihnen im Vergleich mit anderen Men- schen wesentlich größer ausge- prägt sind. Der Gehirnbereich entwickelte sich auch bei jenen, die diese Ausbildung absolvier- ten und die Prüfung bestanden hatten. Das Fazit von Eleanor Maguire, Professorin für Neu- rowissenschaften und Autorin dieser Studie: „Das mensch- liche Gehirn bleibt auch im Erwachsenenalter formbar und passt sich an, wenn wir Neues erlernen.“ Prof. Spitzer folgerte dazu in seinem Vortrag Digitale De- menz : „Wenn wir das gehirnei- gene Navi nicht mehr verwen- den, weil wir es im Auto haben, dann lassen wir navigieren auf Kosten unserer eigenen Orien- tierungsfähigkeit.“Diese Fähig- keit sollten wir auch bei unseren Kindern optimal entwickeln lassen, indem sie uns beim Autofahren den nächsten Weg ansagen dürfen. [8] doa. Wenn man Kindheit ermöglicht, braucht man viel Ruhe und viel Zeit fürs Anleiten, Begleiten, Einüben und Entscheidungen für die Kinder treffen. Laut des Jugendpsychiaters Winterhoff vertieften sich Mitte der 90er Jahre die Erwachsenen in die Digita- lisierung und schafften dabei unbewusst die Kindheit ab. Die Aussage des Kinder- und Jugendpsychiaters trifft den Kern: „Wir haben aus den Kindern kleine Erwachsene gemacht, denn es herrscht die Vorstellung: Mit Reden und durch Begreiflichma- chen könnte man erziehen.“ Doch welche Auswirkungen hat das?  Bei Hürden kommt es entweder zur grundsätzlichen Verwei- gerung oder zu übertriebenem ehrgeizigen Arbeiten.  Im sozialen Bereich bestimmen eher die Kinder.  In Konflikten sehen sie nie realistische Eigenanteile. Immer sind andere oder Umstände schuld.  Das Kind lässt sich nicht auf einen Vergleich ein.  Im Leben herrscht vorrangig das Lust-und-Laune-Prinzip. Winterhoff: „Wir Erwachsenen haben es verabsäumt, diesen Menschen in der Kindheit [emotionale/soziale] Psychefunktionen abzuverlangen und einzuüben. Deshalb haben sie diese nicht. […] Wir haben immer mehr Kinder und Jugendliche, die den Reife- grad von Kleinkindern aufweisen.“ [7] Schlusspunkt ● Professor Spitzer meint: „Wenn die Menschen wissen, was gut und schlecht ist, sind sie normalerweise selbst in der Lage zu entscheiden, was gut für sie ist. Aber solange wir primär hören, wie toll das Smartphone ist und dass es keinerlei Probleme damit gibt, können wir uns gar nicht vernünftig und mündig entscheiden.“ Darum ist sein Anliegen: Aufklärung betreiben! Die Redaktion (ncm. ) Quellen: [6] www.youtube.com/watch?v=FnDEF7Aw9HI (ab 1:42:14) | Buch „Digitale Demenz: Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen“ Droemer Knaur [7] https://www.youtube.com/watch?v=zzLM3CrfYm0 (ab Min. 39) [8] www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/gedaechtnisforschung-wieso-londons-taxifahrer-mehr-graue-zellen-haben-a-802777.html | www.youtube.com/watch?v=FnDEF7Aw9HI [9] Wie die Digitalisierung unsere Kinder verblödet – Psychiater spricht Klartext! https://www.youtube.com/watch?v=zzLM3CrfYm0 (ab Min. 77) Navi ausschalten hält das Gehirn in Schwung Erziehung durch Reden und Begreifen? Digitale Demenz doa. Der Neurowissenschaftler Dr. Manfred Spitzer kommt durch Studien zur Erkenntnis, dass Bildung der wichtigste Gesundheitsfaktor auch für das Verhindern von Demenz im Alter ist. Beim kindlichen Lernen alle Sinne einzusetzen, spricht viele Bereiche im Ge- hirn an, was wiederum zu einer Verdichtung der feinen Gehirn- struktur führt. Je mehr Gehirn- struktur in früher Kindheit auf- gebaut wird, desto länger ist der Abstieg in die merkbare Demenz, die seit einigen Jahren immer früher einsetzt. Aus die- sem Grund warnt Prof. Spitzer davor, bereits im Kindergarten und in der Grundschule digitale Medien für das Lernen einzu- setzen; denn dabei bleibenweite Bereiche des Gehirns ungenutzt, weil sich die Lernebene auf wischen und tippen beschränkt. Er spricht von „Digitaler De- menz.“ Da seine Erkenntnisse auf heftigen Gegenwind stoßen, stellt sich die Frage, ob unsere Kinder bewusst in die „Digitale Demenz“ geführt werden sol- len. [6] mak. Winterhoffs Standpunkt dazu ist klar: Kein Kind muss auf die Zukunft vorbereitet werden, denn das geht auch gar nicht. Wenn wir unseren Kindern eine vergleichbare Psyche mitgeben würden, die wir „noch“ haben, würden sie als Erwachsene mit allem klar kommen. Die Digitalisierung ist eine Technik und nicht mehr! Wenn wir es schaffen, mit dieser Tech- nik so umzugehen, dass wir mehr Zeit für uns und unsere Kinder haben, dann haben wir gewonnen. Der Jugendpsychia- ter rät daher den Erwachsenen, regelmäßig für ihre emotionale und soziale Psyche zu sorgen. Sie muss eine Chance haben zu regenerieren, die Regeneration über Schlaf reicht nicht aus. In der Natur und im Wald sein, die Stille suchen, um sich zu erden. So verfügen wir über eine gesunde Psyche und Intui- tion, und wir sind klar und abgegrenzt. Winterhoffs Appell anEltern: „Sorgen Sie für Auszeiten, sor- gen Sie für Ihre Erdung, sorgen Sie für das Gespür für Ihre Kinder. Nicht das Gerät be- stimmt Sie, sondern befreien Sie sich aus dem Sklaventum der Digitalisierung! […] Ma- chen Sie mit den Kindern das, was Sie erlebt haben: Natur, Wald, Wandern, auch wenn das Kind anfangs keine Lust dazu hat. Machen Sie Urlaub ohne Handy für alle.“ Das klingt doch nach der wahren Vorbereitung fürs Leben, oder? [9] Müssen Kinder wirklich auf das digitale Zeitalter vorbereitet werden? „Wenn sich Kinder emotional und sozial nicht entwickeln können, bleiben sie auf der Stufe von Kleinkindern und unsere Gesellschaft ist in Gefahr.“ Dr. med. Michael Winterhoff, Kinder- und Jugendpsychiater „Je mehr Zahlen- und Fingerspiele ein Mensch im Kindergarten macht, desto besser ist er mit 20 in Mathematik. Willst du gute IT-Fachleute haben, darfst du ihnen in der Kindheit nicht den Laptop geben, sondern Fingerspiele.“ Prof. Dr. Manfred Spitzer, Neurowissenschaftler Prof. Dr. Manfred Spitzer, Neurowissenschaftler

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