S&G Jahrbuch 2018
20 fb./ks./db. Das Buch „Digitale Junkies“ des Psychiaters und Medientherapeuten Bert te Wildt beschreibt das Smartphone als Suchtmittel und Einstiegsdroge. Mit bewusst eingebauten Be- lohnungsmechanismen werden die Menschen an diese Geräte gefesselt: Jedes Mal, wenn der Nutzer das Gerät einschaltet, sieht er eine nette WhatsApp- Nachricht, eine interessante Schlagzeile oder ein neues E-Mail. Dass diese Mechanis- men wirken, bestätigen die Ergebnisse einer „BLIKK-Stu- die“*: „Mehr als 60%der 9- bis 10-jährigen Kinder können sich weniger als 30 Minuten ohne Nutzung von digitalen Medien beschäftigen.“ Die Internet- und Spielsucht steigt bei Ju- gendlichen dramatisch an, wie das Deutsche Ärzteblatt im De- zember 2016 berichtete. Inzwi- schen wisse man, dass die Inter- netabhängigkeit häufig mit Suizidgedanken, Depressionen, ADHS**, Autismus, Aggressi- vität und Suchterkrankungen einhergehen kann. [8] Ausgabe 8/18: Digitale Bildung S&G Hand-Express büm./sem./da. Eine neue Studie, die 2017 auf dem US-Kinder- ärztekongress vorgestellt wurde, zeigt auf, dass die Sprachent- wicklung entsprechend dem Maß der Nutzung digitaler Medien gehemmt wird. Denn Kinder erleben bei der Nutzung digitaler Medien weder Tonfall noch Mimik noch Emotionen des Gegenübers. Folglich wird durch die virtuelle Kommunika- tion über Facebook oder Whats- App die Sprachentwicklung der Kinder gehemmt. Neben der Hemmung der Sprachentwick- lung zeigte sich in den vergan- genen 25 Jahren auch ein signi- fikanter Rückgang des Lesens. Viele Kinder haben heute kaum je ein Buch in der Hand und beschäftigen sich stattdessen fast nur noch mit digitalen Medien. Dies hindert die Lese- fähigkeit, welche wichtig für das Erlernen und Verstehen vieler Schulfächer ist. [6] Digitalisierung wirft ihre Schatten *„BLIKK-Medien“ (Bewältigung, Lernverhalten, Intelligenz, Kompetenz, Kommunikation) ist ein gemeinnütziges Projekt des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte **Aufmerksamkeitsdefizit- Hyperaktivitätssyndrom Digitale Medien hemmen Sprachentwicklung und Lesefähigkeit Gemeinsam einsam durch Facebook & Co. mals./db. Nie zuvor hatte ein Kind scheinbar mehr Freunde als heute. Hunderte Kontakte bei Facebook, WhatsApp oder Instagram. Alles ist möglich durch digitale Vernetzung. Doch eine Studie der US-Psy- chologin Sara Konrath aus dem Jahre 2011 mit fast 14.000 College-Studenten über 30 Jahren ergab: „Die heutigen College-Studenten sind nicht so mitfühlend wie die der 80-er und 90-er Jahre [...] Wir fanden den größten Empathie*-Abfall nach dem Jahr 2000.“ Ein Grund dafür ist, dass nur echte, unmittelbare zwischenmensch- liche Kontakte die für die Em- pathiefähigkeit notwendigen Spiegelneuronen** im Gehirn aktivieren. Zurück bleibt eine um das wahre Leben betrogene, gemeinsam einsame Generati- on von Intensivnutzern sozialer Netzwerke. [7] *Empathie bezeichnet die Fähigkeit und Bereitschaft, Empfindungen, Gedanken, Emotionen, Motive und Persönlichkeitsmerkmale einer anderen Person zu erkennen und zu verstehen **Nervenzellen im Gehirn, die für die Bildung von Mitgefühl verantwortlich gemacht werden urb./dc./bd. Digitale Medien verleiten Kinder beim Haus- aufgaben machen nebenher zu twittern, mailen, WhatsApp beantworten und Musik zu hören. Durch die Reizüberflu- tung wird das Gelernte aus dem Kurzzeitgedächtnis nicht mehr im Langzeitgedächtnis abgespeichert. Prof. Alexander Markowetz von der Universität Bonn beschreibt in seinem Buch „Digitaler Burnout“, dass solch ein Leben mit seinen ständigen Unterbrechungen den produktiven Fluss verhindert. Vieles werde gleichzeitig, aber nichts „richtig“ gemacht. Dies wirke sich negativ auf die geistige Leistungsfähigkeit und Gesundheit aus, es mache un- produktiv und schließlich un- glücklich. [10] Schlusspunkt ● Diese Ausgabe entstand bei einem Treffen von S&G- Lesern, die sich gerne beim Schreiben von Artikeln be- teiligen wollten. Viele Auto- ren haben hiermit ihren ersten Artikel geschrieben. Sind auch Sie interessiert am Schreiben, Recherchie- ren oder Korrekturlesen und möchten uns so bei der Verbreitung von wichtigen Gegenstimmen unterstüt- zen? Dann wenden Sie sich an ihren S&G-Kontakt. Dieser wird Sie an ein S&G-Schreibertreffen in Ihrer Nähe weitervermit- teln. Wir freuen uns auf Sie! Die Redaktion (and.) Vieles gleichzeitig – nichts richtig Gesundheitsschäden durch WLAN im Klassenzimmer and. Immer mehr Schulen füh- ren iPads und Laptops im Un- terricht ein, die über WLAN mit dem Schulnetzwerk ver- bunden sind. Mit dem Einsatz dieser Geräte sollen die Schüler für das Arbeiten in der moder- nen medialen Gesellschaft vor- bereitet werden. Völlig aus- geblendet werden dabei die ge- sundheitlichen Folgen. Diver- se Studien zeigen, dass die permanente Mikrowellenstrah- lung durch WLAN und Mobil- funktelefone insbesondere bei Kindern und Jugendlichen zu verschiedensten Beeinträchti- gungen wie z.B. Konzentrati- onsstörungen, Kopfschmerzen, ADHS oder gar Krebs führen können. Selbst das deutsche Bundesamt für Umwelt warnt davor, WLAN-Router in Räu- men zu installieren, in denen sich dauerhaft Menschen auf- halten. Diese Gesundheitsri- siken sind demnach allgemein bekannt. In Anbetracht dieser Forschungsergebnisse ist der vermehrte Einsatz WLAN- basierter Lerngeräte nicht zu rechtfertigen. [9] Quellen: [6] www.merkur.de/leben/gesundheit/smartphone-verzoegern-Sprachliche-Entwicklung-kindern-zr-8282376.html | www.aappublications.org/news/2017/05/04/PASScreenTime050417 [7] http://psydok.psycharchives.de/jspui/bitstream/20.500.11780/3704/1/Haeusser_PdKK_2012_5.pdf | Studie von Dr. Sara H. Konrath, 2011: „Changes in Dispositional Empathy in American College Students Over Time: A Meta-Analysis Pers Soc Psychol“, S. 180-198 [8] www.drogenbeauftragte.de/presse/pressekontakt-und-mitteilungen/archiv/2015-3-quartal/erste- ergebnisse-zu-blikk-medien.html | www.aerzteblatt.de/treffer?mode=p&wo=272&typ=16&aid=184492&jahr=2016&s=Internet&nr=49 [9] Artikel von P. Hensinger / I. Wilke, 2016:„Mobilfunk: Neue Studienergebnisse bestätigen Risiken der nicht-ionisierenden Strahlung“ | Presseinfo des Umweltbundesamt, Nr 26/2013: „Nichts für Kindernasen: Dicke Luft in Schul- und Wohnräumen“ [10] Buch von M. Korte, 2010 : „Wie Kinder heute lernen“ | www.swr.de/swr2/programm/sendungen/wissen/synapsenstaerkung-im-neuronalen- dschungel/-/id=660374/did=13458446/nid=660374/15xaqt6/index.html | Buch von A. Markowetz, 2015:„Digitaler Burnout“ „Menschen downloaden nicht, sondern sie beschäftigen sich mit etwas. Und je tiefer, je intensiver sie sich mit etwas beschäftigen, desto mehr bleibt hängen. [...] Wenn ich Informationsverarbeitung nicht im Gehirn, sondern im Computer betreibe, hat das Gehirn nichts gelernt.“ Manfred Spitzer, deutscher Neurowissenschaftler und Hirnforscher
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